Deutsches Studienzentrum in Venedig

Personen/Projekte aktuell

Oktober 2024

  • Ländliche Initiativen als Motoren der Transformation
    Kunststipendium

    Architektur
    Ausgehend von meinem eigenen Leben und Arbeiten als Architektin an einem ländlichen Ort und unserer „Experimentierstätte für zukünftiges Bauen“ auf dem Schlossgelände in Bedheim, gehe ich nach Japan nun in Italien auf die Suche nach Gleichgesinnten.

    In den politischen, wissenschaftlichen und sozialen Foren der Welt werden Transformationen in eine o?kologiebewusste und lebenswerte Zukunft diskutiert. Rufe nach einer post-fossilen Bauindustrie, einem suffizienteren Selbstversta?ndnis und einer neuen Care-Mentalita?t gegenu?ber Umwelt und Mitmenschen und sich selbst sind laut. Ein aus meiner Sicht entscheidendes Fazit ist: das Wissensdefizit zu dieserart Themen ist wesentlich geringer als das Handlungsdefizit.

    Häufig unbemerkt von den großen Zentren (und damit den DiskutantInnen), bilden sich Initiativen in ländlichen Räumen (und damit dort wo Platz ist), die die geforderten Transformationen ganz einfach leben. Gruppen von Entrepreneurs, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, LandwirtInnen und TechnologInnen lassen sich in ruralen Räumen nieder und arbeiten zusammen. Altbekannte Kategorien wie die der Aussteiger greifen zu kurz. Die Überzeugung von der Notwendigkeit zu Handeln und der Wunsch nach Selbstwirksamkeit treiben sie an. Auch die neuen Möglichkeiten des 100%-remote-Arbeitens und Vorteile durch staatliche Resilienz-Förderprogramme ländlicher Räume begünstigen solche Entscheidungen. Neben das Phänomen der „Landflucht“ ist schon längst das der „Stadtflucht“ getreten.

    Einige meiner Reiseziele liegen weit im Süden Italiens, jedoch lässt auch die Lagune Venedigs Begegnungen mit Menschen, die auf der Suche nach ländlicher sozialer Innovation, ökologisch und ethisch vertretbaren Lebensformen, Anbau-, Bau- und Ernährungsweisen sind, erhoffen. Trotz der Suche nach kontextueller Einordnung, stehen nicht Phänomene, sondern einzelne Geschichten, Orte und Begegnungen im Vordergrund. Hierbei gilt mein Interesse Synergien zwischen der Stadt und seiner sie umgebenden Landschaft, zwischen zyklischem Erhalt und kreativem Schaffen, zwischen Meer und Boden, zwischen Bäuerlichkeit und Tourismus, zwischen Ausbeute und Fruchtbarkeit.

    Textile Reuse

    Auch als Künstlerin interessieren mich ungewöhnliche, ja vielleicht auch unbequemen Synergien. Das während meines Venedig Aufenthalts fertiggestellte Kunstwerk „Wendeweste (interreligiös)“ bringt zwei aus unterschiedlichen Gründen obsolet gewordene Textilien, ein Stück Kiswa (jährlich wechselnder Behang der Kaaba) und ein Parament einer umgenutzten evangelischen Kirche zusammen.

    Die Themen dieses Werkes wirken hier in Venedig nach. Und so bin ich sensibilisiert für symbolisch und historisch aufgeladene sowie völlig bedeutungslose Trash-Textilien der Stadt. Auch das Thema des gelebten Islam in Europa lässt mich (Spuren von) Projekten, wie Christoph Büchels Realinstallation „The Mosque“ von 2015 in der Chiesa della Misericordia in Cannaregio entdecken.
    Von Oktober 2024 bis Dezember 2024
  • Zwischen Scharlatanismus und Naturwahrheit - Tierpräparate in Bild und Wissenschaft der frühen Neuzeit in Venedig
    Postdoc | Fritz Thyssen Stiftung

    Kunstgeschichte
    Das am Deutschen Studienzentrum in Venedig angesiedelte Forschungsvorhaben möchte, ausgehend von Venedig als wichtigem Umschlagplatz, die Ursprünge von Tierpräparaten in europäischen Sammlungen beleuchten und die Wechselbeziehungen zwischen Scharlatanismus und Naturgeschichte in der frühen Neuzeit untersuchen. Das Projekt bespielt dabei ein noch recht unterforschtes Feld zwischen den Disziplinen Kunstgeschichte, Wissenschaftsgeschichte, Sammlungsgeschichte und Buchgeschichte, das das Verständnis über Frühformen von Tierpräparaten, ihre Visualisierung in Zeichnungen, Buchdruck und Artefakten sowie schließlich ihr Nachleben in den modernen Wissenschaften neu verhandeln möchte.

    Im Postdoc-Projekt sollen die Verbindungen Venedigs mit der terraferma und der Universitätsstadt Padua in der Tiefe analysiert werden, die ab 1533 eine der frühesten Medizinlehrstühle besaß und 1545 einen der ersten botanischen Gärten mit angeschlossener naturhistorischer Sammlung gründete. Mediziner, Naturforscher und Apotheker strömten in die Hafenstadt Venedig, um sich mit Pflanzensamen einzudecken, Fische, Vögel und anderes Getier auf den Märkten zu bestaunen und für ihre Forschungen zu erwerben. Dies ist auch der historische Moment, in dem verstärkt versucht wird, Tierkörper für einen längeren Zeitraum haltbar zu machen. Aufgrund der Schwierigkeiten, ausgestopfte Tiere über einen langen Zeitraum ohne moderne Trockenmittel zu konservieren, sind heute nur sehr wenige Exemplare aus der frühen Neuzeit in fragmentarischer Form erhalten geblieben und der Hauptteil der verfügbaren Quellen ist in Bild- und Textform überliefert.

    Als Praktizierende der „vernacular sciences“, wie sie von Pamela H. Smith bezeichnet wurden, waren Scharlatane die Äquivalente der heutigen Präparatoren, die mumifizierte oder ausgestopfte Tiere herstellten und diese in ihren Laboratorien und Verkaufsräumen ausstellten und zum Verkauf anboten. Scharlatane führten meist ein nomadenhaftes Leben, galten als obskur und führten ein Dasein am Rande der Gesellschaft. Wohl auch deshalb wurde ihre herausragende Rolle für die frühe Tierpräparation bis jetzt nicht ausreichend gewürdigt. Wichtige Publikationen der letzten Jahre zum Scharlatanismus wurden von David Gentilcore und Tina Asmussen zusammen mit Hole Rössler vorgelegt, die jedoch die wesentliche Wirkungsgeschichte dieser Figur für die Naturgeschichte nicht in der Tiefe bearbeitet haben.  Diese Untersuchung will deshalb Scharlatane, die sich im 16. Jahrhundert vermehrt in Venedig ansiedelten, und ihrer Abnehmer wie den Sammlern Daniele Barbaro und Giovanni Grimani in Venedig oder den Naturforschern Ulisse Aldrovandi in Bologna und Francesco Calzolari in Verona beleuchten.
    Von Februar 2024 bis Januar 2025
  • Von Venedig nach Berlin: die von dem venezianischen Kunsthändler Alvise Bernardino Barozzi ans Kaiser-Friedrich-Museum verkauften Kunstwerke aus byzantinischer Zeit, aus Mittelalter und Renaissance
    Postdoc

    Kunstgeschichte
    Die Staatlichen Museen zu Berlin besitzen viele Kunstwerke aus byzantinischer Zeit, aus Mittelalter und Renaissance: Gemälde, Skulpturen, liturgische Kunstgegestände, sowie Objekte der angewandten Kunst, die alle in der zweiten Hälfte des Neunzehnten Jahrhunderts, ins besondere aber in den ersten Jahren des vorigen Jahrhunderts durch Gustav Friedrich Waagen (1794-1868), Ignaz von Olfers (1793-1872) und später auch durch Wilhelm von Bode (1845-1929) erworben wurden. Mehrere hundert Gegenstände aus dem italienischen Markt kamen dank der Kulturpolitik der Zeit und der gro?zügigen Finanzierung der Hohenzollern nach Berlin.

    Viele dieser Kunstwerke stammten aus Kunststädten wie Venedig, Ravenna, Florenz und Rom sowie aus Kampanien, Apulien und Sizilien. Durch die enge Mitarbeit der Museen mit bekannten italienischen connoisseurs und geschickten Kunsthändlern, die genau wussten, was die Berliner Museen benötigten und vor allem wo die notwendigen Gegenstände zu kaufen waren, um die Lücken der Berliner Sammlungen zu füllen, kamen die Kunstwerke nach Berlin. Dies betraf besonders Werke der altchristlichen und mittelalterlichen Zeit. Ziel der Berliner Kulturpolitik - und dies entsprach dem de persönlichen Wunsch Kaisers -, den Berliner Museen dasselbe Ansehen zu verleihen, wie es die Pariser bzw. die englischen Museen genossen.

    Heutigen Forschern, leidenschaftlichen Sammlern und Kunsthändlern sind Namen wie Stefano Bardini oder auch Ludwig Pollak wohlbekannt. Stefano Bardini, “il principe degli antiquari”, war in Florenz tätig. Ludwig Pollak, der berühmte Archäologe und Kunsthändler aus Prag, lebte und arbeitete in Rom. Auch venezianische Kunsthändler wurden eifrig erforscht, wie zum Beispiel Francesco Pajaro und Moise della Torre, die in der zweiten Hälfte des Neunzehnten Jahrhunderts in ständigem Kontakt mit den Berliner Museen standen. Aus Venedig stammt aber zudem ein Kunsthändler, der besonders interessant war: conte Alvise Bernardino “Dino” Barozzi.

    Während meiner Arbeit in Berlin zwischen 2021 und 2022 fand ich Barozzis Namen oft in alten Inventaren des Kaiser-Friedrich-Museums, das heutige Bode-Museum. Zudem konnte ich viele Transportdokumente einsehen, die Beziehungen zu Wilhelm Bode bezeugen. Sie behandeln den Verkauf von Skulpturen, “vere da pozzo”, “patere” sowie von alten Gemälden, die heute teilweise ausgestellt sind oder in den Depots aufbewahrt werden.

    Barozzi war vornehmlich zwischen 1900 und 1914 tätig und er kannte sehr genau die Wünsche Wilhelm Bodes für seine Museen: Kunstwerke venezianischer Provenienz aus Sakralbauten, wie Abteien und Klöstern, sowie aus Privatpalästen. Au?er diesen Kunstwerken besitzen die Museen auch den Briefwechsel zwischen Wilhelm Bode und Alvise Barozzi. Es handelt sich um mehr als 200 Briefe, die oft mit Fotos und Skizzen der zum Verkauf stehenden Werke versehen sind.

    Ziel meines Forschungsprojekts ist es, diese vielfältigen und bisher unbekannten Dokumente zu untersuchen, die sowohl in Berlin wie auch in einigen wichtigen venezianischen Archiven verwahrt werden. Auf diese Weise lie?e sich das Leben Alvise Bernardino Barozzis, einem Mitglied einer der zwölf „apostolischen“ Familien Venedigs, besonders im Hinblick auf seine Tätigkeit als Kunsthändler rekonstruieren.

    Diese Untersuchungen könnten dazu beitragen, den im 20. Jahrhundert in Venedig und unter den dort ansässigen Künstlern vorherrschenden “gusto” ebenso wie die Entwicklung des Kunstmarkts zwischen Italien und Deutschland besser zu verstehen; und dies in einer Zeit, in der die verschiedenen italienischen Regierungen versuchten, die Ausfuhr von Kunstwerken mittels nach und nach strengeren Gesetzen zu reglementieren. Damit sollte der Versuch unternommen werden, die nationalen Schätze zu bewahren – ein Ziel, das nur teilweise erreicht werden konnte.
    Von September 2024 bis Oktober 2024
  • Giandomenico Tiepolos Spektakelbilder: Zuschauerfiguren und Betrachterrollen im 18. Jahrhundert in Venedig
    Promotionsprojekt

    Kunstgeschichte - Prof. Dr. Peter Geimer, Freie Universität Berlin
    Das Projekt meines Venedig-Aufenthaltes wie meiner Promotion besteht darin, Giandomenico Tiepolos Zuschauer- und Spektakeldarstellungen im Kontext der Beobachtungs- und Unterhaltungskultur im Venedig des 18. Jahrhunderts zu untersuchen. Statt als vermittelnde Zeugen die Ränder des Geschehens zu säumen, treten Beobachterfiguren in Giandomenicos Werken als Hauptakteure auf. Von den Vorführungen der Scharlatane, Tanzpaare oder Guckkästen neben ihnen geradezu ablenkend, schaffen die maskierten Schaulustigen hier selbst Blick-Attraktionen – und entziehen sich zugleich einer umfassenden Betrachtung.

    Die Vervielfältigung von Zuschauerfiguren in Giandomenicos Gemälden ist – so die These – als ironische Antwort auf Inklusionsstrategien zu interpretieren, mit denen Medien im 18. Jahrhundert ein immer breiteres Publikum anzuziehen suchten. Damals wurden die venezianischen Spektakel nicht nur zum beliebten Reise-Anreiz, sondern auch zu einem verbreiteten Bild-Sujet, das sich mit Vorstellungen von kultureller und sozialer Teilhabe verband. Inwiefern Giandomenicos Bilder jedoch gerade die medialen Inklusionsstrategien konterkarieren, die Betrachter*innen einen direkten Zugang zum Vergnügen bzw. Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft suggerieren, soll in der geplanten Arbeit erörtert werden.

    Die Menge an Zuschauerfiguren zeichnet weder ausschließlich das Werk Giandomenico Tiepolos aus, noch dokumentiert sie einfach die Präsenz von Zuschauer*innen, die der Künstler in Venedig gesehen haben könnte. Vielmehr weisen sie auf das Interesse einer Gesellschaft hin, in der Beobachtung in hohem Maße kultiviert und diskutiert wurde. Während des Aufenthalts in Venedig möchte ich mehr darüber herausfinden, wie Giandomenicos Spektakelbilder mit den theatralen Blick-Ordnungen, touristischen Blick-Interessen oder aufklärerischen Blick-Idealen seiner Zeit zusammenhängen. Dass die neue Menge an Anweisungen und Anreizen zum Zuschauen mit neuen Ansprüchen von und an Bildbetrachter*innen einherging, ist eine These, dich mich auf meinen Recherchen in Venedig begleiten soll.
    Von September 2024 bis Dezember 2024
  • Postdoc
    Musikwissenschaft
    Das Projekt zielt darauf ab, das Phänomen der Bühnenvermietung in den wichtigsten venezianischen Theatern gegen Ende des 17. Jahrhunderts zu analysieren. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den von Vincenzo und Giovanni Carlo Grimani geleiteten Bühnen: San Giovanni Grisostomo, San Samuel, San Giovanni e Paolo und San Moisè. Die Untersuchung geht von der Hypothese aus, dass die Positionierung am Theater nicht nur eine Frage des Kunstgeschmacks war, sondern auch die politische und soziale Dynamik der Serenissima widerspiegelte, in einer Zeit, in der die Kontrolle des Adels und Steuerung seiner Beziehungen für die Regierung der Republik von entscheidender Bedeutung waren. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war das Opernhaus in Venedig nicht nur ein Ort der Unterhaltung, sondern auch ein privilegierter Beobachtungsposten sozialer Veränderungen und Strategien des politischen Aufstiegs. Die Theater wurden zu Schauplätzen einer komplexen Interaktion zwischen den venezianischen Patrizierfamilien und den neuen aufstrebenden Eliten, die durch die Sichtbarkeit und das Prestige, das sie auf den Bühnen während der Theatersaison, insbesondere während der Karnevalszeit, erlangten, eine höhere soziale Stellung anstrebten. Durch die Analyse archivalischer Quellen, einschließlich notarieller Dokumente, die im Staatsarchiv von Venedig aufbewahrt werden, soll anhand der Verwaltung der Pachtgebühren die Rolle der Brüder Grimani, die die beiden Theaterverwalter bei der Aufrechterhaltung der administrativen und sozialen Ordnung eingenommen haben, untersucht werden. Ziel des Projekts ist es, unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen den untersuchten Theatern die Zusammenhänge zwischen sozialem Aufstieg und der Teilnahme an Theatervorstellungen aufzuzeigen. Ein Schwerpunkt liegt auf den Dynamiken, innerhalb derer sich die Patrizierfamilien in den jeweiligen Räumlichkeiten etablierten. Die Studie wird eine neue Interpretation des venezianischen Operntheaters als Spiegel politischer und sozialer Spannungen ermöglichen und den Zusammenhang zwischen Theaterbesuch und politischer Machtkonsolidierung hervorheben.
    Von Oktober 2024 bis Januar 2025
  • Provenienz: Migrationen eines Begriffs
    Postdoc

    Das Projekt ist eine multiperspektivische Analyse des Begriffs der Provenienz, um transdisziplinäre wie gesellschaftliche Wissens- und Praxisräume in der Museumsarbeit zu eröffnen. Es taucht ein in die Präsenz und Migration von Provenienz als Konzept einerseits und als Episteme andererseits in den verschiedenen Kontexten von Sprache, Wissen, Geschichte, Kultur, Politik, Wirtschaft, Individuum und Gesellschaft.

    Die Migration der Provenienz wird als epistemologische Dynamik veranschaulicht. Verschiedene Fallstudien erläutern ihr Potenzial für die Produktion und den Transfer von Wissen innerhalb und außerhalb von Museen. Im Rahmen des Stipendiums am Deutschen Studienzentrum in Venedig widmet sich das Projekt der armenischen Mechitharistenkongregation in Venedig und Wien. Die umfangreichen Sammlungen armenischer Kulturgüter des Ordens, darunter Handschriften, Werke der dekorativen und bildenden Künste, darüber hinaus archäologische Objekte, sind an den Standorten für die Öffentlichkeit im Zuge ihrer Musealisierung zugänglich. Die Geschichte und Strategien dieser Musealisierungsprozesse werden insbesondere im Zusammenhang mit ihren Zielen zur Bewahrung des armenischen Kulturerbes untersucht.

    Vor dem Hintergrund der Ansiedlung des Ordens in Venedig und Wien werden Migration und Herkunft der armenischen Kultur über die tatsächliche körperliche Migration der Mechitaristen im Raum in Relation zu ihrem Beitrag zu Wissensproduktion und -transfer sowie Kulturgutschutz betrachtet.
    Von Oktober 2024 bis Januar 2025
  • Tacitus als Verhaltenskompass bei Hofe: Nicolò Minatos Elio-Seiano-Libretti (1667)
    Postdoc

    Musikwissenschaft
    Nicolò Minato ist in der Opernforschung als außerordentlich produktiver Autor von Libretti für Opern und Oratorien bekannt. Seine Schaffenszeit umfasst den Zeitraum zwischen 1650 und 1668, in dem er in Venedig tätig war und mit Komponisten wie Francesco Cavalli, Antonio Sartorio und Giovanni Legrenzi zusammenarbeitete, sowie den Zeitraum zwischen 1669 und 1698, in dem er das Amt des Hofpoeten am kaiserlichen Hof in Wien bekleidete. Bevor er sich jedoch dem Musiktheater zuwandte, veröffentlichte er 1645 in Venedig ein Traktat unter dem Titel Eruditioni per li cortigani („Weisheiten für Höflinge“), eine gelehrte Abhandlung über höfisches Verhalten, die in vierzig Kapiteln einige der beliebtesten Probleme der zeitgenössischen Diskussion zum Thema behandelt. Dabei stützt er sich auf Episoden aus dem Werk von Schriftstellern wie Seneca, Sueton, Plutarch, Appian und vor allem den Annalen des Tacitus. Die Abhandlung ist nicht nur wegen ihrer einzigartigen Tradition wichtig, die sie in eine europäische Perspektive stellt (Minato basiert seine Erörterung unter anderem auf Werken von Eustache de Refuge und Girolamo Canini D’Anghiari, rezipiert über seine Lektüre von Eusebius Meisner), sondern auch, weil sie einer in der Literatur des 17. Jahrhunderts häufig besprochenen Figur großen Platz einräumt, Lucius Aelius Seianus. Wie Tacitus in den Büchern IV und V der Annalen beschreibt, wurde Aelius Seianus von Kaiser Tiberius in die höchsten Ämter des Reiches erhoben. Die Eruditioni widmen Seianus, der durch übertriebenen Ehrgeiz beim Kaiser, der ihn begünstigt hatte, in Ungnade fiel, zahlreiche Passagen und ein ganzes Kapitel. Zweifellos bediente sich Minato bei den Eruditioni, als er 1667 für das Teatro di San Salvatore in Venedig ein Zwillingsdrama über das Sujet schuf, also einen für zwei Abende bestimmten dramatischen Zweiteiler, mit den Titeln La prosperità di Elio Seiano („Der Aufstieg des Aelius Seianus“) und La caduta di Elio Seiano („Der Fall des Aelius Seianus“). Der Komponist, mit dem Minato hierbei zusammenarbeitete, der Hannoversche Kapellmeister Antonio Sartorio, nutzte die Oper in der deutlichen Absicht, das Haus Hannover zu verherrlichen, was schon an der Widmung an Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg und seine Schwester Sophie Amalia von Dänemark zu erkennen ist.

    Erklärte Grundlage des Librettos ist Tacitus, also die höchste Autorität auf dem Gebiet der politischen Philosophie des 17. Jahrhunderts, dessen Schriften von einer großen Zahl von Intellektuellen und Gelehrten übersetzt und kommentiert wurde. Sie bildeten gleichsam das tägliche Brot der venezianischen Akademien, der „Incogniti“, „Discordanti“ und „Imperfetti“, deren letzterer Minato selbst angehörte. In der Geschichte des kaiserlichen Roms, wie sie die Annalen überliefern, können wir eine deutliche Allegorie der Korruption an Fürstenhöfen lesen (man denke nur an die Krönung der Poppea des „Incognito“-Mitglieds Busenello); und wenn es stimmt, dass der kaiserliche Palast das Beispiel par excellence innerer Rivalitäten bildete, erhält das Studium der Taten der Großen – selbst der unsäglichsten unter ihnen – eine bestimmte, machiavellistisch-didaktische Absicht: Das Alte wird nicht nur als negatives und kontrastierendes Beispiel angesehen, sondern in erster Linie als analoger Vergleich zur Beschreibung der zeitgenössischen Realität. Tacitus’ Lehre wird so gleichsam zu einem Verhaltenskompass, einem Führer zum Leben und Überleben bei Hofe.

    Die Popularität der Prosperità di Elio Seiano, eines der am meisten aufgeführten Werke Sartorios, wird durch die zahlreichen Wiederaufnahmen dokumentiert. Minatos Zweiteiler liefert ein komplexes und sehr interessantes Zeugnis für die Untersuchung der Rezeption tazitistischer Materie im Kontext des Operntheaters, dessen Motive mit freizügigen Inspirationen verflochten sind, vor allem mit der in der libertinen Tradition stehenden literarischen Produktion der „Incogniti“-Mitglieder). Das eingehende Studium der beiden Stücke um Aelius Seianus und die von mir vorgeschlagene kritische Edition der jeweiligen dramatischen Texte würde aus interdisziplinärer Perspektive (das Thema betrifft gleichermaßen Geschichte, Literaturwissenschaft, Musik- und Theaterwissenschaft sowie Kunstwissenschaft) bemerkenswerte Aspekte ans Licht bringen zur Bedeutung der Botschaft des römischen Historikers in den goldenen Jahren der Popularisierung der Oper in Venedig und darüber hinaus: also Erkenntnisse zur Verbreitung der italienischen Oper an europäischen Höfen.

    Das Ziel des Projekts ist die Vorbereitung der kritischen Ausgabe der beiden Libretti zu Elio Seiano, begleitet von einer umfänglichen Einführung, die darauf abzielt, das Werk zu kontextualisieren und gleichzeitig das Studium zeitgenössischer Abhandlungen und freigeistiger Literatur (alias „Incogniti“-Literatur) zu würdigen. In der Einführung werden der generative Kontext der „Zwillingswerke“, die historisch-literarischen Vorläufer, die Struktur der Stücke und die verwendeten dramaturgischen Konventionen erläutert.
    Von September 2024 bis November 2024
  • Die sephardische Diaspora in Venedig (1492-1541)
    Dissertationsvorhaben

    Geschichte - Universität Trier, Prof. Dr. Lukas Clemens u. JProf. Dr. Andreas Lehnertz
    Mein Dissertationsprojekt untersucht die frühe Migrationsbewegung der Sephardim – einschließlich der sogenannten marrani, der konvertierten Jüdinnen und Juden – nach ihrer Vertreibung von der Iberischen Halbinsel 1492 bzw. 1497 und ihre Reorganisation in der Lagunenstadt.

    Bislang richtete sich das Augenmerk der Forschung auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, ab der sich eine große sephardische Gemeinschaft in Venedig bildete, die sogar Ausstrahlungskraft auf die spätere Gemeindebildung in Amsterdam hatte. Dass sich schon Ende des 15. Jahrhunderts Sephardim in der Lagune aufhielten und 1497 einer Ausweisung trotzen konnten, findet hingegen kaum Berücksichtigung. Dabei ist gerade die Reorganisation in der frühen Phase der Migration interessant, da sich in dieser Zeit die Grundlagen und Voraussetzungen für die weitere Ansiedlung und die Etablierung größerer Gemeinden bilden konnten.

    Mit meinem Projekt sollen Erkenntnisse über Verbindungen der Sephardim zur christlichen und jüdischen Gesellschaft innerhalb und außerhalb der Lagunenstadt sowie über ihre Tätigkeiten erlangt werden. Diese Erkenntnisse sollen vor dem Hintergrund des politischen Rahmens, den die Serenissima vorgab, betrachtet werden, um wiederum Rückschlüsse auf den Handlungsspielraum der Sephardim bei ihrer Reorganisation in Venedig ziehen zu können. Somit möchte ich die frühen sephardischen Migrationsbewegungen neu beleuchten und zu einer deutlich differenzierteren Sichtweise auf die sephardische Diaspora beitragen.
    Von Oktober 2024 bis November 2024
  • Kunststipendium
    Musik/Komposition
    Von Oktober 2024 bis Dezember 2024

Personen/zukünftige Projekte

  • Pilger und Patrone
    Von Juli 2025 bis September 2025
  • Archival Insights: Tracing Jacob Marcaria’s Life in Renaissance Venice
    Von Dezember 2024 bis April 2025
  • Giovanni Bellini und die Devotio Moderna: religiöser Austausch und die italienische Kunsttheorie des Quattrocento
    Von Dezember 2024 bis Januar 2025
  • Kunststipendium
    Von April 2025 bis Juni 2025
  • Der Reisekünstler Friedrich Nerly (Erfurt 1807 – 1878 Venedig) und seine venezianische Bildproduktion. Bestandserforschungs- und Ausstellungsprojekt zu Friedrich Nerlys Haupt-Nachlass, Angermuseum Erfurt
    Postdoc
    Von September 2025 bis Oktober 2025
  • Transitionen Alter Vokalmusik durch italienische Komponist*innen ab 1950
    Postdoc
    Von Februar 2025 bis April 2025
  • Das deutsche Milieu Venedigs im transnationalen faschistischen Geflecht,
    1918–1933. Eine Fallstudie zur Unterwanderung von Auslandsinstitutionen und -gemeinden während der Weimarer Republik.
    Von März 2025 bis August 2025
  • Kunststipendium
    Von Oktober 2025 bis Dezember 2025
  • „Griechische Leser und Buchnetzwerke im frühneuzeitlichen Venedig. Archivzeugnisse zur Bibliothek von Gerasimos Vlachos“
    Post-Doc
    Von Oktober 2025 bis Januar 2026
  • Kunststipendium
    Von Juli 2025 bis September 2025
  • Kunststipendium
    Von April 2025 bis Juni 2025
  • Postdoc
    Von Dezember 2024 bis Januar 2025
  • Kunststipendium
    Von Oktober 2025 bis Dezember 2025
  • Zwischen Hunger und Völlerei: Ernährungstrends im Europa des Mittelalters
    Postdoc-Projekt
    April 2025
  • Patente Leute. Glasindustrie in Murano zwischen Tradition und Innovation, fama und Geheimnis
    August 2025
  • Februar 2025
  • Kunststipendium
    Von Januar 2025 bis März 2025
  • Postdoc
    Februar 2025
  • Kunststipendium
    Von Juli 2025 bis September 2025
  • Juden in der faschistischen Partei Italiens
    (Arbeitstitel)
    Dissertationsprojekt
    Von August 2025 bis September 2025
  • Kunststipendium
    Von Januar 2025 bis März 2025
  • Von August 2025 bis November 2025
  • Die Sammlung des Karl Roner von Ehrenwerth und das Kunstverständnis der ausländischen Eliten im habsburgischen Venedig
    Postdoc
    Von Mai 2025 bis Juli 2025
  • Scomparso? Spuren karmelitischer Predigttätigkeit in Venedig
    Postdoc
    Von Mai 2025 bis Juli 2025
  • Kollaboratives Komponieren in der Frühen Neuzeit
    März 2025
  • Die päpstliche Antikenaufsicht im 17. Jahrhundert
    Dissertationsprojekt
    November 2024
  • Venezia oltre Venezia: Das Bild Venedigs an der Adria zwischen Irredentismo und Globaltourismus
    Post-Doc
    Von April 2025 bis Juli 2025

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