Deutsches Studienzentrum in Venedig

Llane Fragoso Maldonado

Llane Fragoso Maldonado

Giovanni Agostino da Lodi – Ein mailändischer Maler in Venedig. Kultureller Austausch in Norditalien um 1500
Postdoc

Das plötzliche Auftauchen des Malers Giovanni Agostino da Lodi in der Kunstgeschichtsschreibung geht auf Wilhelm Bode (1845–1929), den einflussreichen Direktor der Berliner Museen, zurück. Durch seine intensive Beschäftigung mit der lombardischen Malerei – insbesondere mit der Schule Leonardos in Mailand – stieß Bode auf eine bis dahin unbekannte Künstlerpersönlichkeit. Anhand einer Reihe stilistisch verwandter Werke konnte er die Existenz dieser Figur erstmals aufspüren und begründen. Da viele dieser Werke zuvor dem Maler Boccaccio Boccaccino zugeschrieben worden waren, gab Bode ihm, wie damals üblich, einen Notnamen und taufte ihn „Pseudo-Boccaccino“. Der anonyme Maler war, laut Bode, im Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert in Mailand tätig, zur Zeit Leonardos, versuchte aber auch sein Glück in Venedig.

Eine kleine Tafel in der Mailänder Pinacoteca di Brera, die die Darstellung eines Greises neben einem jungen Mann zeigt und die Signatur „IOHES AVGVSTINVS LAVDESIS“ trägt (Inv. 789.), bildete – aufgrund ihrer stilistischen Nähe zu den von Bode zusammengestellten Werkverzeichnissen – die Grundlage für die Identifizierung des anonymen Malers mit Giovanni Agostino da Lodi (aktiv ca. 1490–1520), einem damals noch unbekannten und durch Quellen nicht belegten Maler aus der Lombardei.

Nur wenige archivalische Zeugnisse, die erst in jüngerer Zeit aufgetaucht sind, belegen seine Präsenz in Mailand und Venedig während der ersten beiden Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts. Sein Werkkatalog, der Gemälde und Zeichnungen umfasst, hat sich seither erheblich erweitert. In der Forschung gilt Giovanni Agostino häufig als stilistisches Bindeglied zwischen Leonardo und Giorgione – eine Vorstellung, die auf Vasaris florenzzentriertem Konzept der maniera moderna basiert, bislang jedoch selten kritisch hinterfragt wurde.

In meinem Forschungsprojekt untersuche ich Giovanni Agostinos Werk und Wirken aus einer neuen Perspektive. Ziel ist es, seine künstlerische Praxis sowie seine soziale und kulturelle Einbindung in das norditalienische Kunstnetzwerk differenziert herauszuarbeiten. Dabei werden teleologische Narrative à la Vasari bewusst vermieden und stattdessen soziale, technische sowie auftraggeberbezogene Kontexte aus Mailand und Venedig einbezogen. Im Zentrum der Arbeit steht die Analyse überlieferter Dokumente im Zusammenhang mit dem erhaltenen Werk. Auf dieser Grundlage konnte ein plausibles Netzwerk von Auftraggebern und künstlerischen Beziehungen rekonstruiert werden. Darüber hinaus enthält die Studie eine systematische Darstellung der stilistischen und technischen Entwicklung Giovanni Agostinos.

Der abschließende Schritt meines Forschungsvorhabens besteht in der vertieften, werkbezogenen Analyse vor Ort in Venedig. Diese umfasst die direkte Betrachtung der Originale in Museen und Kirchen sowie weiterführende Archivstudien. Diese Recherchen bilden die Grundlage für die Druckvorbereitung des ersten umfassenden Catalogue Raisonné, der sämtliche Giovanni Agostino da Lodi zugeschriebenen Gemälde und Zeichnungen erstmals im größeren Zusammenhang dokumentiert und kontextualisiert.

Das Projekt versteht sich als Beitrag zur kunsthistorischen Erschließung eines bislang randständigen Akteurs, der jedoch für den künstlerischen Austausch zwischen Mailand und Venedig von großer Bedeutung war. Es verbindet stilkritische Analysen mit technikgeschichtlichen Perspektiven und archivalischer Forschung und trägt so zu einem besseren Verständnis der künstlerischen Dynamiken Norditaliens um 1500 bei. Gleichzeitig reflektiert es kritisch etablierte kunsthistorische Erzählmuster und beleuchtet deren ideologische Grundlagen.

Schlagwörter

Lombardische Malerei, venezianische Malerei, Wilhelm Bode, Leonardo, Giorgione, norditalienische Kulturaustausch, maniera moderna, stilistische Analyse, Neuzeit, Künstlerbiografie, kunsthistorische Narrative

November 2025

Februar 2026